Als im Dortmunder Westen die Sonne aufging
Wenn ich mir das heutige Phoenix West in Dortmund anschaue, denke ich gerne an meine Kindheit zurück. Es dürfte sich so in etwa um das Jahr 1995 handeln. Als Kleinkind habe ich häufig meine Großeltern in ihrer Wohnung besucht, die sich im Obergeschoss einer Doppelhaushälfte im Dortmunder Süden befand. Wenn die Tage im Herbst und Winter immer kürzer wurden, konnte ich als Kind aus dem Küchenfenster gen Westen in die dunkle Dortmunder Nacht blicken. Doch ab und an gab es diesen einzigartigen Moment, an dem der Dortmunder Nachthimmel zu glühen begann. Dann verfärbte sich der schwarze Nachthimmel urplötzlich in einen rot-orange-gelben Abendhimmel.
Doch der Himmel glühte nicht nur am Abend. Auch am frühen Morgen lief der Betrieb am Phoenix West. Und so schien es, als ginge die Sonne über Dortmund sogar im Westen auf.
Natürlich verstand ich als Kind nicht, was ein paar Kilometer weiter westlich vor sich ging. Ich dachte zunächst an etwas Übernatürliches. Doch weit gefehlt. Meine liebe Großmutter klärte mich auf: “Das hat mit der Stahlproduktion zu tun. Das passiert immer, wenn der heiße Stahl aus den Anlagen kommt.” Offensichtlich war ich schon als Vierjähriger ein Industrieromantiker und wollte mehr darüber wissen. Also fragte ich weiter. Denn ich wollte erfahren, wofür man Stahl überhaupt braucht. Außerdem schlummerte die bohrende Frage in mir, warum dann der Himmel in Hörde so glühte.
Doch wie kam es eigentlich dazu, dass wir heute diese eindrucksvolle Industriekulisse genießen können?
Der glühende Himmel am Phoenix West: Die Schlacke macht’s möglich
Zugegeben, den vollständigen Vorgang verstand ich erst während meiner Schulzeit. Sobald der flüssige Stahl aber aus den Hochöfen rinnt, fließt auch immer die sogenannte Schlacke mit heraus. Schlacke ist ein Abfallprodukt der Stahlproduktion und für den weiteren Produktionsprozess überflüssig. Um die heiße Schlacke zu entsorgen, goss man sie häufig auf Freiflächen in der Nähe der Hochöfen. Das ist der Moment, in dem die Magie entfacht wird. Sobald die heiße und flüssige Schlacke auf den Untergrund trifft, beginnt der Nachthimmel zu leuchten. Natürlich ist das nicht nur einmalig an besagten Herbst- oder Winterabenden passiert. Es passierte das ganze Jahr über. Wie auch sonst sollte die Vielzahl an Halden im Ruhrgebiet zu erklären sein, die nicht nur für Industrieromantiker heutzutage beliebte Ausflugsziele sind und tolle Aussichtspunkte bieten. Um die gesamte Entwicklung am Phoenix West zu verstehen, lohnt es sich, die Zeitmaschine zu verwenden.
So entstand die Hochofenanlage am Phoenix West
Die Geschichte vom Phoenix West geht nämlich bis ins 19. Jahrhundert zurück. Für die Hermannshütte, das ehemalige Stahlwerk am damaligen Phoenix Ost, benötigte man dringend mehr Roheisen. Bisher holte man das Roheisen aufwändig aus Belgien. Also begann man im Jahr 1853 damit, die Hochofenanlage auf dem 115 Hektar großen Gelände aufzubauen. Nach und nach gingen insgesamt sechs Hochöfen in Betrieb. Der erste Hochofenabstrich in Hörde erfolgte im Jahr 1854.
Die Chronologie der Hochöfen am Phoenix West
Wenn ein Hochofen den Betrieb aufnimmt, nennt man das in der Fachsprache “den Hochofen anblasen”. Hier folgt eine Übersicht, wann die ersten Hochöfen in Hörde ihren Betrieb aufnahmen:
- Hochofen I geht am 26. Februar 1854 an
- Hochofen II startet am 11. Juni 1854
- Hochofen III folgte im September 1854. Hier fand ich bisher leider noch kein genaues Datum heraus
- Hochofen IV stieß am 1. Juli 1855 hinzu
Bis zum Start von Hochofen V dauert es dann einige Jahre. Diesen blies man erst 1858 an. Hochofen VI kam sogar erst am 24. November 1864 hinzu. Durch die weiteren Hochöfen stellte man sicher, dass die Stahlproduktion sowohl in großen Mengen als auch in hoher Qualität erfolgte. Zwischenzeitlich galt die Anlage am Phoenix West in Dortmund deshalb als schnellstes Werk zur Produktion von Roheisen. Damit dieses schneller beim Stahlwerk ankam, eröffnete man im Jahr 1871 eine Eisenbahnstrecke zwischen Hermannshütte und Hochofen.
1873 und 1878 nahm man sogar noch weitere Hochöfen in Betrieb. Diese entstanden etwa 160 Meter westlich der alten Anlagen.
Aus alt mach neu
Im Jahr 1880 steht fest: Die ersten alten Hochöfen haben ausgedient. Sie werden durch Neue ersetzt. Mit den neuen Anlagen konnte man die Roheisen-Produktion von bisher 20 Tonnen auf satte 120 Tonnen Roheisen am Tag steigern. So gehen nur drei Jahre später gehen weitere neue Hochöfen in Betrieb.
Und auch das nächste Update ließ nicht sehr lange auf sich warten. Zwischen 1893 und 1897 entstehen insgesamt sechs neue Hochöfen, die vier alte Hochöfen ersetzen. Im Jahr 1913 verfügte man über sechs moderne Hochöfen, die täglich zwischen 250 und 300 Tonnen Roheisen produzieren konnten. 1921 entstand ein siebter Hochofen, den man aber erst nach dem Ersten Weltkrieg anblies.
Anfang des 20. Jahrhunderts ging die Auftragslage für die Stahlwerke tief in den Keller. Daher liefen im Jahr 1929 am Phoenix West nur noch zwei Hochöfen, von denen nur einer produzierte. Die Krise ging sogar so weit, dass die Betriebsgesellschaft der gesamten Belegschaft kündigte. Das führte jedoch zu massiven Protesten in der Bevölkerung, sodass die Verantwortlichen schnell zurückruderten.
Phoenix West nach dem Zweiten Weltkrieg
Während des Zweiten Weltkriegs trafen mehrere Bomben sowohl das Hochofenwerk als auch die Kokerei am Phoenix West. Auch das Stahlwerk am Phoenix Ost erlitt starke Schäden. Somit standen 1945 alle Einrichtungen in Hörde still.
Doch schon im September 1945 erfolgte der Neustart. 1952 lief Hochofen V an, der sich rund zehn Jahre in der Bauphase befand. 1958 baute man am Phoenix West ein Laborgebäude.
Ab 1961 beginnt der Betrieb des ersten Großhochofen IV. Bis 1965 kommen zwei weitere Großhochofen V dazu. Die neuen Großhochöfen schaffen es, täglich bis zu 2300 Tonnen Roheisen zu produzieren. Die alten alten Hochöfen werden abgestellt.
Zwischendurch entschließt man sich, den Hochofen VI zu modernisieren, um seine Kapazität zu steigern. 1969 bläst man die Anlage erneut an. Nach der Modernisierung kann der Hochofen nun bis zu 80.000 Tonnen Roheisen pro Monat herstellen. Über zwanzig Jahre produziert allein dieser Hochofen 10,13 Millionen Tonnen Roheisen, bis sein Betrieb am 8. Juli 1981 endet.
Noch bis 1998 laufen die verbliebenen Großhochöfen III, V und VI weiter. Nach fast 150 Jahren legt man alle Hochöfen am Phoenix West still. Am 30.09.1998 erfolgt der letzte Abstrich aus dem Großhochofen III. Noch im Oktober fängt man an, Hochofen III abzubauen, um ihn nach China zu verschiffen.
Die Übernahme der HOESCH AG durch Thyssen-Krupp im Jahr 1991 leitete das Ende der Stahlproduktion in Dortmund ein. Thyssen-Krupp wählte für den weiteren Produktionsbetrieb den Standort Duisburg, der über eine bessere Infrastruktur verfügte. So fand die Stilllegung der Hochöfen am Phoenix West bereits im Jahr 1998 statt. Der Betrieb vom Stahlwerk am Phoenix Ost endete im Jahr 2001. Die Geschichte der Betriebsgesellschaft und des Stahlwerks stellen wir in unserem Bericht zum Phoenix See ausführlich vor.
Was ist heute noch übrig?
Nachdem man den Hochofen im Jahr 1998 stillgelegt hatte, lag die Fläche am Phoenix West lange Zeit brach. Erst der Strukturwandel im Ruhrgebiet leitete die Wende ein. So entwickelt sich am Phoenix West neben einem Naherholungszentrum ein großer Technologiepark. Zum Beispiel für Mikro- und Nano-Technik. Auf dem Gelände des ehemaligen Stahlwerks am Phoenix Ost befindet sich inzwischen der Phoenix See. Doch das bedeutet nicht, dass wir am Phoenix West keine Denkmäler an die Industriekultur vorfinden. Ganz im Gegenteil.
Der Hochofen und die Haldenlandschaft
Noch heute steht ein Teil der Hochofenanlage auf dem Gelände. Genauer gesagt die Überreste der Hochöfen V und VI. Die optisch gut erhaltene Anlage steht unter Denkmalschutz. Als Besucher brauchen wir aber nicht einfach nur von außen zu staunen. Über einen Skywalk kommen wir besonders nah an die alten Anlagen heran. Von dort lässt sich erahnen, was hier bis zum Ende des 20. Jahrhunderts geschah. Zudem habt Ihr vom Skywalk eine tolle Aussicht auf Teile des Dortmunder Zentrums.
Eine Halde kommt selten allein
Zur Industriekulisse am Phoenix West zählen auch drei Halden. Da hätten wir zunächst einmal die Halde Entenpoth. Sie diente dazu, das angrenzende Wohngebiet vor Lärm zu schützen. Die Halde Entenpoth besteht vermutlich aus normalem Aushub und nicht aus Schlacke.
Die Halden Schallacker und Hympendahl setzen sich aus der Schlacke zusammen, die man in der unmittelbaren Umgebung abgoss. Und da eine Halde irgendwann nicht mehr genug war, schüttete man die nächste auf. Hierzu verwendete man die Schlackenbahn, die die Schlacke vom Hochofen zu den Halden brachte.
Als Erstes entstand die Halde Schallacker. Diese reichte aber schon bald nicht mehr aus. Also begann man nach einem weiteren Ort zu suchen. Diesen fand man nicht weit entfernt, nämlich direkt gegenüber. Um diesen zu erreichen, baute man zwischen 1891 und 1901 eine Brücke im römischen Baustil, die Hymdendahlbrücke.
Vom einstigen Viadukt erkennt man heute nur noch die beiden Widerlager. Die Brücke stürzte nämlich in den 1950er Jahren ein. Heute bilden die Überreste der Brücke mit einem Teich eine schöne Idylle in der Nähe des alten Hochofens. Der Teich befindet sich direkt im Tal zwischen den beiden Schlackenhalden. Von dort könnt Ihr auch auf die beiden Schlackenhalden aufsteigen.
Die Halde Hympendahl bietet Euch dann einen tollen Blick auf den Florianturm und die Hochofenanlage.
Auf der Halde Schallacker gibt es zwar keine Aussichtspunkte, aber sie ist ein schöner Fleck, um im Sommer die Haldenidylle zu genießen. Einziges Manko: Das Viadukt darf man aus Sicherheitsgründen leider nicht betreten.
Auf den Spuren des “Feurigen Elias” radeln
1871 ging die Eisenbahn zwischen Hochofenwerk und Stahlwerk in Betrieb. Auf diesem Wege gelangte das Roheisen als glühende, gelb-orangene Masse schnell von West nach Ost. Die Bahn taufte man wegen der heißen Fracht und des Funkenflugs “Feuriger Elias”. Somit nannte man die Strecke Eliasbahn.
Entlang der Strecke baute man hohe Wände aus Beton, um die Menschen zu schützen. Kein schöner Anblick, doch sie erfüllten lange Zeit einigermaßen ihren Zweck. Auch lange nach dem Ende der Stahlproduktion in Hörde mussten wir uns noch mit der Kulisse aus Beton abfinden. Doch irgendwann verschwanden die Brocken aus Beton.
Wo einst das Roheisen glühte, glühen nun höchstens die Reifen der Radfahrer. Aus der alten Bahn hat man nämlich eine wunderbare Fahrradstrecke geschaffen. Über diese kann man jetzt flott vom Phoenix See zum Phoenix West radeln, um Euch dort bei der Bergmann Brauerei mit einem leckeren Bier zu belohnen.
Endlich gibt es am Phoenix West auch was zu essen
Ich bin ehrlich, ich habe es lange herbeigesehnt. Das erste Restaurant am Phoenix West. Während die Restaurants am Phoenix See kommen und gingen, fehlten sie am Phoenix West. Die letzten Jahre haben das endlich geändert. So eröffnete die Bergmann Brauerei am 2. März 2018 ihre Türen.
Inzwischen gibt es neben der Brauerei auch noch weitere Restaurants. So eröffnete im September 2020 “Das Hoesch”. Ein Jahr später eröffnete das “PURiNO”. Das Lokal “Katjushas Foodwerk” ist noch eine Möglichkeit, um am Phoenix West essen zu gehen.
Dann wäre da noch …
Das Gasometer mit dem Hoesch-Schriftzug. Heute eine Landmarke. Früher speicherte man im Gasometer Gichtgas. Gichtgas entsteht in den Hochöfen, wenn Koks erhitzt wird, um das Eisenerz zu schmelzen.
Wie geht es weiter?
Eigentlich unvorstellbar. Früher hätte man als Dortmunder am Phoenix West sicher nicht so gut durchatmen können. Heute nutzen wir Dortmunder das Areal sehr gerne, um spazieren zu gehen oder Sport zu treiben. Ich selbst schätze die vielen Wege und Halden sehr, um zu joggen oder die Seele baumeln zu lassen, den Blick auf Hochofen und Gasometer nicht zu vergessen. Und wer es romantisch mag, der sollte im Sommer das Autokino nutzen, das regelmäßig auf dem großen Platz vorm Hochofen stattfindet.
Die Zukunft wird zeigen, was mit dem restlichen brachen Land passiert. Doch viele wichtige Schritte sind getan, um das Gelände weiter zu modernisieren.
An Sommerabenden kann man den Hochofen übrigens häufig bunt beleuchtet erblicken. Wenn er dann in seinem Rost erstrahlt, dann atme ich die saubere Luft ein und denke zurück an die Großmutter und den leuchtenden Himmel.
Sind wir nicht eben alle ein bisschen Industrieromantiker?
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